Gezielte politische Werbung in der Bundestagswahl

Forschung, Analyse und App, erstellt von Fabio Votta.

Facebook bietet politischen Akteuren, wie beispielsweise politische Parteien, eine Vielzahl von Targeting-Möglichkeiten um ihre Wahlkampfwerbung gezielt an ein bestimmtes Online-Publikum zu vermitteln. Dank der Daten, die von den Nutzer:innen der Who Targets Me Browser App zur Verfügung gestellt wurden, können wir untersuchen, wie politische Parteien (und andere Akteure) deutsche Wähler:innen während der Bundestagswahl 2021 gezielt mit Wahlkampfwerbung erreichen wollen.

Rund 5000 deutsche User:innen helfen uns Daten über politischen Anzeigen auf Facebook zu sammeln. Insgesamt wurden zwischen dem 26. April und dem 3. August 2021 über 90.000 politische Anzeigen von unseren User:innen gesehen. Jedes Mal, wenn eine Anzeige in der Facebook Timeline einer Person erscheint, nennen wir dies auch eine Impression. Eine wichtige Informationsquelle in unseren Daten ist die Warum sehe ich diese Werbeanzeige? Funktionalität auf Facebook, welches User:innen mitteilt welche personalisierten Targeting-Kriterien für diese Werbung eingesetzt wurden.

Targeting im Bundestagswahlkampf 2021

Ein Screenshot der App

In diesem Beitrag werden die in den letzten Monaten gesammelten Targeting-Daten untersucht. Er wird begleitet von einer interaktiven App, mit der Sie die Daten selbst erkunden können. Wenn Sie mehr über die Daten erfahren möchten und welche Erkenntnisse wir daraus ableiten können, lesen Sie weiter. Alternativ können Sie auch einfach selbst auf die Daten zugreifen und sehen, was Sie finden

Hinweis: Unser Datensatz klassifiziert alle Facebook-Konten von Parteien und Kandidaten als zu ihrer jeweiligen Partei gehörig, sei es auf lokaler, Landes- oder Bundesebene. Das bedeutet: Armin Laschet, Kanzlerkandidat der CDU/CSU, der offizielle Facebook-Account der CSU und der Berliner Landesverband der CDU CDU Berlin, werden alle der CDU/CSU zugeordnet. Diese Klassifizierung umfasst über 6.500 politische Facebook-Seiten in Deutschland. Um die Stichprobenverzerrung in unseren Daten zu mildern, wurden die hier präsentierten Daten außerdem so gewichtet, dass sie besser mit der deutschen Bevölkerung nach Alter, Geschlecht und Bundesland übereinstimmen.

Welche Targeting-Methoden und -Kriterien verwenden die Parteien?

Um zu ermitteln, welche Targeting-Kriterien von welcher Partei am häufigsten verwendet werden, teilen wir die Anzahl der Anzeigen, die in einer Timeline mit einem bestimmten Targeting-Kriterium erschienen sind, durch die Gesamtzahl der gezielten Impressionen, die eine Partei erhalten hat. Auf diese Weise erhalten wir ein Maß für die relative Bedeutung der Targeting-Kriterien pro Partei.

Abbildung 1: Häufigste gezielte Impressionen nach politischer Partei

So können wir zum Beispiel beobachten, dass das am häufigsten vorkommende Targeting-Kriterium für FDP-Seiten ein Standort ist: Berlin, das 12,5 % aller Targeting-Impressions für die FDP ausmacht.

Abbildung 1 visualisiert dieses Targeting-Bedeutungsmaß für sechs politische Parteien: die CDU/CSU, AfD, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die LINKE. Wir können beobachten, dass Parteien oft versuchen User:innen zu erreichen die bereits Interesse in die eigenen Partei haben. Das häufigste Targeting-Kriterium von SPD Accounts ist beispielsweise User:innen mit Interesse in die SPD. Die einzeige Ausnahme sind allerdings die Grünen (Bündnis 90/Die Grünen), welche eher versuchen User:innen die an „Umweltschutz“ oder „Erneuerbare Energien“ interessiert sind zu erreichen.

Die Daten für die AfD sind leider weniger aussagekräftig, da unsere Stichprobe der „Who Targets Me“-Nutzer:innen eher moderat/links orientiert ist und sich nur wenige Nutzer als konservativ/rechts bezeichnen. Daher sehen unsere Nutzer nur wenige AfD-Anzeigen, da wir bereits wissen, dass Parteien eher ihre eigene Basis ansprechen. Dennoch können wir auch hier beobachten, dass eines der am häufigsten vorkommenden Targeting-Kriterien das Interesse an der AfD selbst ist.

In der Regel scheinen deutschen Parteien vor allem ihre eigene Wählerschaft ansprechen zu wollen, sei es durch gezieltes Interesse an der eigenen Partei und den Themen, für die sie stehen, oder durch die Ansprache bestimmter Altersgruppen wie die CDU/CSU, die ihre Werbung häufig an Personen ab 30 Jahren richtet (ältere Altersgruppen haben einen höheren Anteil an CDU/CSU-Wählern).

Dies deutet darauf hin, dass politische Parteien Facebook-Targeting oft dazu nutzen, um bereits an ihrer Partei interessierte Bürger:innen zu mobilisieren und nicht unbedingt, um neue Wähler:innen zu überzeugen – eine Erkenntnis, die die wissenschaftliche Forschung zum Online-Targeting bereits angedeutet hat (Franz et al. 2020, Fowler et al. 2021).

Allerdings gibt es auch Hinweise auf ein aggressiveres Targeting. Die LINKE zielt häufig nicht nur auf das Interesse an der eigenen Partei und den eigenen Politikern ab, sondern auch auf Menschen, die sich für die SPD interessieren. Dies könnte auf einen Versuch hindeuten der moderateren SPD mehr linke Wähler:innen abzugreifen.

Parteien wie die FDP, die CDU/CSU und in geringerem Maße auch die SPD und die AfD scheinen sich allerdings häufig auch auf so genannte custom audiences zu verlassen, um Wähler:innen zu erreichen. Die am häufigsten verwendete Methode ist die lookalike audience, bei der politische Werbetreibende eine Zielgruppe definieren (z. B. durch Hochladen einer Liste von E-Mails oder von Personen) und Facebook dabei hilft, Personen zu identifizieren, die diesen ähnlich sind (in Bezug auf Interessen, Demografie usw.). Wenn eine benutzerdefinierte Zielgruppe aus einer E-Mail-Liste von bisherigen Parteiunterstützer:innen besteht kann dies natürlich als ein weiterer Versuch angesehen werden, bestehende Unterstützung zu mobilisieren, anstatt neue Wähler:innen zu überzeugen.

Targeting Netzwerke

Allerdings sagen die Grafiken bisher nur etwas über die Häufigkeit individueller Targeting-Methoden aus. Allerdings ist jede Kombination dieser Kriterien möglich. Eine Möglichkeit, die Beziehung zwischen allen verwendeten Targeting-Kriterien zu untersuchen, ist die Verwendung einer Netzwerkvisualisierung.

In der hier vorliegenden Netzwerkvisualisierung sind die Kreise Targeting-Kriterien (Alter, Geschlecht, Interessen usw.) und die Quadrate sind politische Konten, die diese Kriterien für das Targeting von Anzeigen verwenden. Je mehr Anzeigen mit einem bestimmten Targeting-Kriterium von unseren App-User:innen gesehen wurden (Impressionen), desto größer ist der Kreis. Je größer das Quadrat, desto mehr Anzeigen dieses Werbetreibenden wurden von unseren User:innen gesehen. Die Dicke der Verbindung zwischen den Quadraten und Kreise zeigt, wie oft diese Targeting-Kombination bei unseren User:innen vorkam.

Targeting Netzwerke der CDU/CSU

Abbildung 2: CDU/CSU zielt oft auf das Interesse an der eigenen Partei ab

Abbildung 2 zeigt, dass die CDU/CSU häufig auf die Interessen von CSU, CDU und Angela Merkel abzielt, was häufig mit dem Targeting von Wähler:innen über 35 Jahren zusammenfällt. Diese Zielgruppenkriterien zusammengenommen weisen darauf hin, dass die CDU/CSU hauptsächlich auf ihre Wählerbasis abzielt und versucht, sie zur Wahl zu mobilisieren.

Targeting von verschwörungsaffinen und extremistischen Interessen

Wie wir anhand der bisherigen Daten bereits gesehen haben, ermöglicht Facebook ein sehr detailliertes Targeting. Einige potenzielle Targeting-Kriterien können jedoch problematischer sein als andere. Dass es Facebook erlaubt hat Werbung zu schalten welche sich an rechts-extremistische Interessen richtet, ist leider schon bekannt. In einem Beispiel entdeckten Journalisten, dass Facebook Anzeigen erlaubt hatte, die sich an Personen mit Interesse an „weißer Völkermord“ (Englisch: „white genocide“) richteten, eine rechtsextreme Verschwörungstheorie.

In unseren Daten haben wir herausgefunden, dass Die LINKE-Politiker Dieter Dehm fragwürdiges Targeting-Kriterien benutzt. Der Bundestagsabgeordnete schaltete Werbung an User:innen mit Interesse an der rechtsextremen Publikation Epoch Times und bekannte Verschwörung Influencer Ken Jebsen. Siehe Abbildung 3 unten.

Abbildung 3: Der Politiker Dieter Dehm zielt auf Facebook auf rechtsextreme und verschwörerische Interessen ab.

Darin prangert er den „deutschen Imperialismus“ an, der Impfstoffe aus China, Russland und Kuba schlecht macht, und sagt, dass er sich deshalb lieber in Russland impfen lässt. Der Text der Anzeige spielt auch die Bedeutung von Impfstoffen herunter, indem er fälschlicherweise suggeriert, dass ein gutes Immunsystem ausreichen sollte, um nur einen leichten Fall von COVID-19 zu bekommen:

Eine Anzeige von Diether Dehm, die sich an Menschen richtet, die sich für Russia Today, Epoch Times, KenFM, Wladimir Putin und WikiLeaks (unter anderem) interessieren.

[…] Ich selbst bin weder ein fanatischer Impfgegner noch -Befürworter: Weil die Haupterfolge gegen dieses Virus sowieso in unseren Immunsystemen stattfinden, wenn sie – von Stress und Umweltschäden verschont – Keime abwehren und ein unauffälliges Infektionsgeschehen bewirken.⠀[…]

Dieter Dehm Werbung

Wir werden die App und unsere Analyse in den verbleibenden Wochen des Wahlkampfes aktualisieren.

Wenn Sie mehr über das Targeting während der Bundestagswahl 2021 erfahren und die Daten selbst erkunden möchten, probieren Sie die interaktive App aus. Wenn Sie Daten beisteuern möchten, installieren Sie Who Targets Me in Ihrem Browser. Und wenn Sie Arbeit wie diese unterstützen wollen, erwägen Sie eine Spende.